Kulturhanse-Expeditionen #8: Kulturhanse-Labore für das lokale Ökosystem

In unserer Serie Kulturhanse-Expeditionen stellen wir euch ausgewählte Auszüge aus unserer Publikation vor. Dies sind spannende Themen, Analysen, Ideen und Erkenntnisse auf unserem Weg. Der achte Teil der Serie beschäftigt sich mit der Frage wie man in dritten Orten, schützende, unterstützende Gemeinschaften aufbaut.

Wir glauben, dass es mehr Menschen braucht, die sich auf den Weg machen, mit anpacken für eine enkelgerechte Welt, ein gutes Leben in Stadt und Land. Und wir glauben, dass es dafür konkrete Anlässe braucht, Vorbilder, sichere Räume und eine unterstützende Gemeinschaft. Insbesondere jenseits großer Städte. Das schaffen wir natürlich nicht allein. Zum Glück wollen das auch andere, nur fehlen Angebote oder Aktivitäten oder funktionieren nicht. Deshalb entwickelten wir die Kulturhanse: ein sozialunternehmerisches Programm, mit dem wir Menschen inspirieren und befähigen, solche sicheren Räume mit unterstützender Gemeinschaft aufzubauen, Anlässe zu bieten und Geschichten, die als Vorbild dienen. Wir nennen solche Räume Kulturhanse-Labore. In diesem Text begründen wir zuerst den Nutzen solcher Labore im Ökosystem und beschreiben, warum Wirtschaftsförderung, Wohlfahrt und öffentliche Hand das sozialunternehmerische Potential nicht abrufen. Und wir beschreiben, welche Funktion und Wirkung Kulturhanse-Labore für Gründer*innen sowie für Städte und Gemeinden haben. Wie solche Labore genau aussehen können, zeigen » Die drei Leuchttürme, S. 96ff

von Martin Arnold-Schaarschmidt

Gute Ökosysteme für Gründerinnen und Gründer

Die Unterstützungslandschaft für Gründer*innen und Start-ups in einer Region, sowie die Gründungsszene selbst, bilden zusammen das Gründungsökosystem. Dazu gehören auch Bildungs- und Fördereinrichtungen, Unternehmen, Unterstützer*innen, Politik und Verwaltung (vgl. RKW, 2023). Von der Idee bis zum erfolgreichen Produkt oder zur wachsenden Organisation sind viele Personen Teil einer Gründungsgeschichte. Jede und jeder kann sich allein der Welt stellen, sicher. Erfolge sind aber bei genauerem Hinsehen immer eine Gemeinschaftsleistung. Neben den Gründer*innen, die oft am meisten persönliche Risiken und wirtschaftliche Verantwortung über- nehmen, tragen viele andere Menschen und Organisationen zu jedem Vorhaben Expertise, Inspiration, Mittel, Leumund, Arbeit, Motivation oder Kontakte bei. Keine Gründung gelingt ohne Partner*innen und Unterstützer*innen – von der Graswurzelinitiative bis zur großen

Eine Kulturhanse, damit mehr Menschen im ländlichen Osten gut leben können.

Mit unserer Projektpublikation, den Kulturhanse-Expeditionen reisen wir auf 182 Seiten noch einmal durch die ersten fünf Jahre der Kulturhanse. Fünf Jahre, in denen wir versuchten, gemeinwohlorientierte Gründungslabore und Ökosysteme jenseits großer Städte in Ostdeutschland zu initiieren. Fünf Jahre, in denen wir die Macher*innen vor Ort ermutigten, stärkten, lokal und regional mit Wirtschaft und Zivilgesellschaft vernetzten.

Institution, vom Atelier bis zum Handwerksbetrieb. Deshalb gedeihen sie auch dort besser, wo die Gründer*innen leicht Chancen und Inspirationen finden, weil so die nächsten Schritte zum Erfolg sichtbarer sind. Dort, wo es zugängliche Experimentierräume und Ressourcen gibt, ist das Verlustrisiko geringer. Dann trauen sich Menschen eher, etwas zu versuchen, und entfachen ihr Potential häufiger. Und die anstrengende Reise bis zum Erfolg lässt sich dort eher überstehen, wo sie eine Gemeinschaft und Rückenwind unterstützen. Gründungen gedeihen also besser in einem Ökosystem, das wie ein Korallenriff ist: mit Nischen und Türen für viele und verschiedene Nutzer*innen. Und das alles am besten unter günstigen Umweltbedingungen. Räume wie die Kulturhanse-Labore sind wie Oasen, wie Quellen im Ökosystem, die besonders viele schützende Nischen und Zugänge bieten. Sie sind wie Gewächshäuser und Gravitationszentren für Macher*innen.

Klassische Gründungsförderung kommt nicht an

Aber nicht jedes Ökosystem bietet die passenden Zugänge für alle. Sozialunternehmerische Gründer*innen sind zwar auch Gründer*innen, sie nutzen aber kaum Angebote der klassischen Gründungsförderung. Warum? Von der Wirtschaftsförderung werden Gründungen hauptsächlich als

Wirtschaftsfaktor verstanden: Die besten wachsen, schaffen Jobs und zahlen mehr Steuern. Um deren Zahl und Erfolge zu steigern, gibt es Gründungszentren, Fördermittel, Beratungs- und Bildungsangebote für einen sicheren Gründungsprozess und große Profite. Das ist nicht verkehrt, sollte wirtschaftliches Wachstum das Ziel ist. Wenn aber gesellschaftliche Missstände im Mittelpunkt stehen, ändern sich die Erfolgskriterien.

Dann gibt es profitable Geschäftsmodelle, die schädlich sind, weil sie vielleicht Müllberge erzeugen. Dann sind häufig Kund*innen wichtig, die für ihre Leistung gar nicht zahlen können. Und Anteilseigner*innen wollen Profite nicht einstecken, sondern in mehr Wirkung reinvestieren.

Gründer*innen, die ein gesellschaftliches Problem lösen bzw. zum Gemeinwohl beitragen wollen, müssen also gesellschaftliche Ziele zusammen mit betriebswirtschaftlichen

erreichen. Die Wirkung ist entscheidend, dafür müssen aber auch die eigenen Ausgaben abgesichert sein. Dafür braucht es zusätzliche Unterstützung. Da muss zum Beispiel die angestrebte Wirkung bilanziert werden oder eine gemeinnützige Rechtsform mit einer gewerblichen kombiniert werden. Die betriebswirtschaftliche Beratung muss auch Geschäftsmodelle ohne Profitziel ernstnehmen, oder Ehrenamtliche als besondere Human Resource. Die klassische Gründungs- und Unternehmensförderung kann das bisher nicht leisten. Die Logiken und Kulturen profit- versus wirkungsmaximierender Unternehmungen sind so verschieden, dass sich die Akteur*innen kaum gegenseitig verstehen oder anerkennen. Und so bleiben viele gemeinwohlorientierte Gründer*innen dem Ökosystem der klassischen Gründungsförderung fern.

Fehlende Partnerschaft mit Politik und Verwaltung

Für die Lösung gesellschaftlicher Missstände sind bereits Institutionen beauftragt: Politik und Verwaltung. Die Menschen dort sollen in unserem Auftrag für Daseinsvorsorge und Gemeinwohl sorgen. Damit wären öffentliche Institutionen die optimalen Partnerinnen für Sozialunternehmer*innen. Sie könnten ihre Ressourcen und Stärken bündeln und für gemeinsame Ziele einsetzen. Die Sozialunternehmer*innen handeln als private*r Akteur*in auf eigenes Risiko, dynamischer und freier. Veränderungen können sie rascher verarbeiten und gute Lösungen erproben. Dagegen tragen Politik und Verwaltung die öffentliche Infrastruktur und Willensbildung. Besser als Gründer*innen können sie Lösungen mit Gesetzen in Einklang bringen, legitimieren und ins System skalieren. Die Vorteile liegen auf der Hand.

Allerdings gehören gemeinwohlorientierte Gründer*innen eben zu jenen zivilgesellschaftlichen Akteur*innen, die Stephan Willinger beschreibt » Gemeinwohl in der Stadtentwicklung, S. 42ff. Sie gehen selbstbewusst Aufgaben von öffentlichem Interesse an, ohne vorher öffentlich dafür beauftragt worden zu sein. Die unterschiedlichen Herangehensweisen, Regeln und Prozesse erschweren eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen ihnen und Politik und Verwaltung bisher leider sehr.

 

Fehlende Partnerschaft mit der Sozialwirtschaft

Wohlfahrtsverbände entwickelten dagegen über viele Jahrzehnte eine Partnerschaft zu Verwaltung und Politik. Ihre Organisationen und Betriebe übernehmen in öffentlichem Auftrag und etablierten Förderbeziehungen wesentliche Aufgaben der Daseinsfürsorge. Kommunen arbeiten mit einer Vielzahl sozialwirtschaftlicher Betriebe, von der Wohnungsgenossenschaft bis zum Eigenbetrieb. Wer gesellschaftliche Probleme lösen will, sollte dort durchaus Partnerschaft, Unterstützung und Beratung finden. Zu jedem Problemfeld sollten sich so aktuelle Herausforderungen sowie passende Erfahrungen und Ressourcen finden lassen. Gründer*innen könnten als externe Innovationsabteilung mit der etablierten Sozialwirtschaft als Problem- und Skalierungspartner*innen einander ergänzen.

Allerdings handeln alle größtenteils aus ihren eigenen Annahmen, Möglichkeiten und Erkenntnissen heraus. Da machen die Gründer*innen keinen Unterschied. Herausforderungen finden alle, eigene Ideen auch. Und da die Ressourcen überall knapp sind, bleiben sie vermeintlich besser in der eigenen Organisation. Zudem hängt die Sozialwirtschaft an restriktiven öffentlichen Förderprogrammen und ihren etablierten Strukturen. Infolgedessen nimmt sich zu selten jemand Zeit und Raum, um Probleme zusammen mit Externen zu untersuchen oder gar gemeinsam zu lösen. Und so lernt man Kooperationsformate nicht kennen und baut keine Partnerschaften und Innovationsfähigkeiten auf. Das ist fatal angesichts der dynamischen und komplexen Herausforderungen weltweit.

Kulturhanse-Labore als Quelle des Ökosystems

Wirtschaftsförderung, Wohlfahrt, öffentliche Hand und Sozialunternehmen leisten alle einen Beitrag für lokale Perspektiven und das Gemeinwohl. Die größte Wirkung erreichen sie, wenn sie zusammenarbeiten. Das ist leider aus den oben ausgeführten Gründen erschwert. Um das zu ändern braucht es Räume, bildlich wie physisch, in denen sich diese Akteur*innengruppen unvoreingenommen aufeinander einlassen können, und Anlässe, um gemeinsame Bedarfe und Ziele auszuloten und Kooperation zu proben. Ein Labor mit dem Fokus auf Innovation und Gemeinwohl, auf ein gutes Leben für alle, kann genau das bieten (vgl. Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2023; Christmann, 2020).

Unter der verbindenden Klammer Gemeinwohl und in akteursoffenen Räumen können sich alle gesellschaftlichen Gruppen und Institutionen begegnen und leichter gemeinsame Interessen und Ziele entdecken.

Dann erkunden Wirtschaftsförder*innen, warum soziale und ökologische Kosten und Gewinne Teil der Unternehmensbewertung sein können, spricht die Nachbarschaftsinitiative mit dem regionalen Unternehmer*innenverband über gemeinsame Ziele und Kooperationen, tüftelt der lokale Wohlfahrtsträger mit engagierten Gründer*innen an neuen Angeboten, plant die Verwaltung mit Bürger*innen kokreativ, treffen sich Menschen in ihrem Engagement für das Gemeinwohl. So wächst ein „partizipatives Ökosystem“, wie es Stephan Willinger nennt, „in dem sich wie von selbst neuartige Allianzen zwischen vormals konkurrierenden Interessengruppen zugunsten des Gemeinwohls bilden können.“ » Gemeinwohl in der Stadtentwicklung, S. 49. Wie unsere Kulturhanse-Labore das genau angingen, ist beschrieben in » Die drei Leuchttürme, S. 96ff. Die externen Evaluator*innen hörten über deren Wirkung: „Wenn wir das nicht hätten, wäre es eine ganz andere Stadt.“

Literaturverzeichnis

Bundesministerium für Bildung und Forschung (2023). Zukunftsstrategie Forschung und Innovation. Abgerufen von https://www.bmbf.de/SharedDocs/Downloads/de/2023/230208-zukunftsstrategie.pdf?__blob=publicationFile&v=2 [20.02.2023]

Christmann, G. B. (2020). Wie man soziale Innovationen in struktur- schwachen ländlichen Räumen befördern kann. Erkner: IRS – Leibniz-In- stitut für Raumbezogene Sozialforschung & RurAction (Hrsg.).

RKW Kompetenzzentrum (2023). Was ist ein Gründungsökosystem? Abgerufen von https://www.rkw-kompetenzzentrum.de/themen/gruendungsoekosysteme/ [17.02.2023]

 

Andocken

Gern organisieren wir solche Formate bei dir vor Ort. Sprecht uns gern an, wenn wir Euch bei der nachhaltigen Entwicklung eures gemeinwohlorientierten Ortes unterstützen sollen. Meldet euch unter: rike@kulturhanse.org.

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Wissenstransfer

Wir geben unser Wissen gern weiter, z.B. in Vorträgen, Impulsen, Workshops, Trainings, Weiterbildungen zu Themen wie: Was brauchen Social Entrepreneure auf dem Land? Wie verwandelt man Leerstand in einen Ort aktiven bürgerschaftlichen Engagements?

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Begleitung & Coaching

Ob Organisations- oder/und Regionalentwicklung – wir begleiten euch dabei Lösungen für eure konkreten lokalen, regionalen Problemstellungen zu entwickeln.

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Werkstattprogramm

Neben maßgeschneiderten Prozessen bieten wir die Kulturhanse-Akademie, ein Werkstattprogramm in einem strukturierten, kollegialen Rahmen. Bereits in zwei Jahrgängen konnten wir uns vom Erfolg des Zusammenspiels zwischen Qualifizierung, Raum- und Laborentwicklung und Inspirationsreise überzeugen.

Gruppenfoto @Philipp Hort

Vernetzungs
veranstaltungen

Unser Kulturhanse-Netzwerk bringen wir in Konferenzen, Camps und anderen Peerformaten zusammen. Im Austausch mit anderen Macher*innen, Stakeholdern und Entscheidungsträger
*innen lässt sich Inspiration und Mut für das eigene Vorhaben schöpfen.